Lübeck,
23. Januar 2019
Wohnungsmarktbericht der
Hansestadt Lübeck 2018
Thomas Klempau, DMB Mieterverein Lübeck
Der
Wohnungsmarktbericht verharmlost durch zurückhaltende Aussagen die
segmental starken Anspannungen des Lübecker Wohnungsmarktes,
verschleiert Fehlentwicklungen im Wohnungszusatzneubau, der sich nicht
am dringend notwendigen Bedarf orientiert und spricht von einem
angeblich ausreichend großen Bestand preisgünstiger Mietwohnungen, der
für Wohnungssuchende in der Realität jedoch nicht verfügbar ist.
Dem Bericht ist zu entnehmen, dass der
Sozialwohnungsbestand in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen ist
und in den kommenden Jahren weiter schrumpfen wird. Unerwähnt bleibt,
dass die Zahl der Personen, die in einer Datenbank der
Wohnungsvermittlung als wohnungssuchend geführt werden und darauf
warten, eine Sozialwohnung anmieten zu können, von 949 Personen Ende
2016 auf 1.373 Personen Ende 2018 und damit um 45 Prozent innerhalb von
nur 2 Jahren gestiegen ist.
Dem Bericht ist zu entnehmen, dass es in Lübeck 72
Prozent 1 bis 2-Personen-Haushalte gibt, die Nachfrage nach kleinen
Wohnungen das Angebot übersteigt und in Zukunft aufgrund des Trends zur
Singularisierung von Lebensentwürfen mehr kleine Wohnungen benötigt
werden. Unerwähnt bleibt, dass die Mieten kleiner Wohnungen im Vergleich
zum durchschnittlichen Mietpreisniveau enorm gestiegen sind, und zwar
nach Auswertung der Mietspiegeldaten in den vergangenen sechs Jahren je
nach Baualter des Hauses um mehr als 30 Prozent.
In dem Bericht werden Bestandsmieten
der „Immobilienwirtschaft“ aufgeführt ohne Hinweis darauf, welche
Wohnungsunternehmen gemeint sind. Soweit bekannt ist, handelt es sich um
Wohneinheiten der Trave und einiger Lübecker Genossenschaften, die noch
über nennenswerte Sozialwohnungsbestände mit entsprechend günstigen
Mieten verfügen. Unter Heranziehung der Mietobergrenzen, die bei Bezug
von Leistungen nach SGB II (Hartz IV) und SGB XII (Sozialhilfe) vom
jeweiligen Leistungsträger übernommen werden sowie unter Heranziehung
der Wohngeldhöchstbeträge wird mit einem Prozentwert angegeben, wie viel
Wohnraum mit diesen Höchstbeträgen von den relativ günstigen Bestandsmieten der „Immobilienwirtschaft“ angemietet
werden könnte. Der Sinn, die Aussagekraft und der praktische Nutzen
einer solchen Darstellung erschließt sich nicht. Denn in der
Realität besteht der Mietwohnungsmarkt in Lübeck keineswegs nur aus dem
Wohnungsbestand der Genossenschaften und der Trave, der weniger als ein
Drittel des Lübecker Gesamtmietwohnungsbestandes ausmacht. Es ist
unseriös, den Anschein zu erwecken, dass die Durchschnittsmieten dieser Unternehmen
für den Gesamtmarkt repräsentativ seien.
Darüber hinaus sind nicht die Bestandmieten, sondern die
Angebotsmieten das entscheidende Kriterium für Personen, die eine
Wohnung anmieten wollen oder müssen. Und über die Entwicklung der
Angebotsmieten enthält der Bericht weder eine grafische Darstellung,
noch eine klare Aussage. Eine
Marktanalyse des Immobilienportals
“immowelt.de” aus September 2018 hat ergeben, dass in den vergangenen
fünf Jahren die Angebotsmieten in den untersuchten 80 Städten
Deutschlands mit jeweils über 100.000 Einwohnern enorm gestiegen sind.
Der Studie zufolge mussten Mieter in Berlin im 1. Halbjahr 2018 52
Prozent mehr bezahlen als im 1. Halbjahr 2013. Der durchschnittliche
Quadratmeterpreis (Medianwert Nettokaltmiete bei Neuvermietung) hat sich
dort von 7,50 Euro auf 11,40 Euro erhöht. Am zweithöchsten fällt die
Mietpreissteigerung in Augsburg aus, nämlich um 40 Prozent. Platz drei
im Ranking geht an München mit einem Anstieg um 35 Prozent und Platz
vier an Lübeck mit einer Steigerung der Angebotsmieten um 30 Prozent von
6,40 Euro auf 8,30 Euro.
Die Nettokaltmieten, die Personen im Leistungsbezug in
Lübeck im Betrachtungszeitraum zur Verfügung standen, betrugen im
Durchschnitt 5,66 Euro pro Quadratmeter. Wie soll man mit einem solchen
Betrag Angebotsmieten von durchschnittlich 8,30 Euro bezahlen können?
Die Schlussfolgerung des Wohnungsmarktberichts, dass der Anteil
preisgünstigen Wohnraums in Lübeck ausreichend sei und bis zu 96 Prozent
betragen würde, hat mit der Realität und den verzweifelten Bemühungen
vieler Menschen, eine für sie bezahlbare Wohnung finden und anmieten zu
können, nichts zu tun.
Dem Bericht ist zu entnehmen, dass in den vergangenen
sechs Jahren im Durchschnitt 399 Wohneinheiten inklusive Ersatzneubau
pro Jahr fertig gestellt worden sind. Unverständlicherweise wird jedoch
die Anzahl der Ersatzneubauten nicht genannt, die erkennen lassen würde,
in welcher Größenordnung und in welchen Segmenten ein Zuwachs von
Wohneinheiten stattgefunden hat. Wie hoch ist der Nettozuwachs nach
Abzug abgerissener und zweckentfremdeter Wohneinheiten? Weshalb wird das
nicht dargestellt, so dass politische Entscheidungsträger klar erkennen
können, in welchen Segmenten und in welcher Anzahl ein Zusatzneubau
tatsächlich stattgefunden hat und ob dieser auch dort stattfand, wo die
Nachfrage am Größten und der Versorgungsbedarf am dringendsten ist?
Nach unseren Beobachtungen findet ein Zuwachs von
Wohneinheiten im Segment von Ein-, Zweifamilien- und Reihenhäusern
statt, wohingegen es sich im Geschosswohnungsbau fast ausschließlich um
Ersatzneubau handelt, also zunächst Wohneinheiten mit günstigen Mieten
von unter 6 Euro pro Quadratmeter abgerissen und an gleicher Stelle
Wohneinheiten neu gebaut werden mit Mieten jenseits von 10 Euro und
einer oft nur kleinen Anzahl von preisgebundenen Wohnungen. In
Wirklichkeit findet im Geschosswohnungsbau seit Jahren ein Abbau des
preisgünstigen Mietwohnungsbestandes statt mit dem regelmäßig bemühten
Argument, dass eine Sanierung der Wohngebäude wirtschaftlich nicht
rentierlich sei.
Es ist dringend notwendig, den Schwerpunkt des
Zusatzneubaus künftig auf den Geschosswohnungsbau zu legen mit einem
Großteil an kleinen und seniorengerechten Wohnungen und Wohnungen für
Familien, und zwar in einem Preissegment, welches auch für Menschen mit
finanziell eingeschränkten Möglichkeiten, für Haushalte im
Leistungsbezug und Personen mit niedrigen Renten bezahlbar ist. Denn
hier sind die Nachfrage und der Bedarf mit Abstand am Größten. Die
Verwaltung geht von einem Zusatzneubaubedarf bis 2025 von 3.900
Wohneinheiten aus, wohingegen das Statistikamt Nord einen Bedarf von
5.900 Wohneinheiten und empirica einen Bedarf von 7.500 Wohneinheiten
für Lübeck prognostizieren.
Ausgehend von einem mittleren Bedarf von rund 6.000
Wohneinheiten ergibt sich in den kommenden sechs Jahren eine
durchschnittliche Baufertigstellung von 1.000 Wohneinheiten pro Jahr,
und zwar ausschließlich als Zusatzneubau, wobei der Schwerpunkt des
benötigten Zusatzneubaus bereits 2020 erreicht ist. Man muss kein
Prophet sein, um erkennen zu können, dass dieser notwendige Bedarf nicht
ansatzweise erreichbar und daher damit zu rechnen ist, dass sich der
Wohnungsmarkt weiter anspannen wird mit weiteren drastischen
Mietsteigerungen und einer ebenfalls stark steigenden Zahl von
Kündigungen und Räumungsklagen.
Eine vorbereiteter Antrag für die politischen Ausschüsse
oder für die Lübecker Bürgerschaft, dass der Wohnungsmarktbericht 2018
nur als Zwischenbericht zur Kenntnis zu nehmen und um welche konkreten
Punkte der Bericht zu ändern/ergänzen ist, befindet sich unter
diesem Link.
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